Gegen die Straflosigkeit
By Hannah El-Hitami
February 4, 2022

 

Vor einem Jahr wurde der libanesische Publizist Lokman Slim ermordet. Seine Frau Monika Borgmann kämpft für die Aufklärung des Mordes – und seit vielen Jahren auch für die Bewältigung der gewaltvollen Vergangenheit im Libanon.

Von Hannah El-Hitami

Mehr als 30 Jahre lang beschäftigte sich Monika Borgmann mit der Frage nach dem Ursprung der Gewalt – was macht einen Menschen zum Nazi oder zum Scharfschützen, warum nimmt er an einem Massaker teil? Dann erreichte sie die Gewalt schließlich selbst. Am 3. Februar 2021 wurde ihr Mann, Lokman Slim, im Südlibanon durch mehrere Kopfschüsse ermordet. Der 58-jährige Libanese war ein prominenter Publizist, Filmemacher und furchtloser Kritiker der Hisbollah. Ein Jahr nach seinem Tod kämpft Borgmann um die Aufklärung des politischen Mordes.

Die Journalistin und Filmemacherin aus Aachen kam 1986 das erste Mal in den Libanon, wo damals seit mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg herrschte. "Was mache ich hier?", habe sie gedacht, während das Flugzeug beim Anflug über der zerstörten Stadt Beirut kreiste. Die Antwort darauf fand sie in den folgenden Jahren, in denen sie immer wieder in den Libanon reiste, bis sie 2001 ganz dorthin zog.

Gewaltvolle Vergangenheit bewältigen

Sie berichtete als Journalistin über den Alltag im Bürgerkrieg, drehte einen Film über das Massaker im Flüchtlingslager Sabra und Shatila, interviewte Scharfschützen – interessierte sich vor allem für die Täter. "Mich hat das Thema Gewalt schon immer interessiert", erzählt die 59-Jährige bei einem Video-Anruf mit rauer Stimme. "Wie jemand fähig wird zur Gewalt, das war eine Kernfrage für mich." Diese Frage war es auch, die sie in Kontakt mit ihrem späteren Ehemann Lokman Slim brachte. "Ihr seid an denselben morbiden Themen interessiert, ihr solltet euch unterhalten", sagte ein gemeinsamer Freund 2001 zu den beiden. Kurz danach waren sie unzertrennlich. "Wir waren nicht nur privat zusammen, sondern haben zusammen gearbeitet und waren in einem permanenten Austausch über die politische Situation im Libanon und der Region", erinnert sich Borgmann.

"Im Libanon herrscht eine Kultur der Straflosigkeit, und diese hat das Land in die katastrophale Situation getrieben, in der wir heute sind." Monika Borgmann, Journalistin und Filmemacherin

Gemeinsam mit Slim gründete sie die Organisation UMAM, Dokumentation und Recherche. UMAM, arabisch für "Nationen", organisiert Ausstellungen und Vorträge, verlegt Bücher und hat ein umfangreiches Archiv mit Publikationen, Filmen und Zeitungen zur Geschichte des Landes aufgebaut. Das Ziel dahinter: die gewaltvolle Vergangenheit des Libanon zu bewältigen – eine Vergangenheit, die das Land nie aufgearbeitet hat. Stattdessen gab es nach dem Bürgerkrieg ein Amnestiegesetz. "Seit Jahren fragen wir uns, ob der Bürgerkrieg überhaupt zu Ende gegangen ist. Oder ob es ein andauernder Krieg ist, der immer neue Formen annimmt", sagt Borgmann.

"Niemand kann ihn ersetzen"

Ihr Interesse an der Vergangenheitsbewältigung wurzelt auch in der eigenen Biografie. "Ich gehöre zur ersten Generation, die in der Schule angefangen hat, offen über den Holocaust zu reden", sagt Borgmann. Die Nürnberger Prozesse seien eine immense Chance für Deutschland gewesen, wieder mit der Demokratie zu beginnen.

Ähnliches wünscht sie sich auch für den Libanon. "Dort herrscht die Kultur der Straflosigkeit, und diese hat das Land in die katastrophale Situation getrieben, in der wir heute sind." Die Explosion im Beiruter Hafen im Sommer 2020, die Folgen der Pandemie und eine dramatische Inflation haben dem Libanon eine tiefe Krise beschert. Seit Jahren gehen Menschen auf die Straße, protestieren gegen die Korruption und Regierungsversagen.

Die Gewalt im Libanon habe nie ganz aufgehört, glaubt Borgmann. Nun ist sie auch in ihrem Leben angekommen, hat ihr den Mann genommen, mit dem sie ihr Leben und ihre Arbeit teilte. Gefasst spricht sie über den Verlust. "Niemand kann ihn ersetzen", sagt sie über Slim. "Wir haben uns ergänzt." Ihre Arbeit gehe dennoch weiter, müsse nun erst recht weitergehen. "Sie haben es geschafft, Lokman zu ermorden, aber sie werden es nicht schaffen, unsere Arbeit zu beenden oder sein Erbe zu zerstören."

In den 20 Jahren, die sie sich kannten, habe der Kampf gegen Straflosigkeit immer im Mittelpunkt der Arbeit gestanden. Jetzt kämpft Borgmann auch dafür, dass die Mörder ihres Mannes zur Rechenschaft gezogen werden. "Der Mord muss aufgeklärt werden", sagt sie. "Für Lokman, und um diese Kultur der Straflosigkeit zu beenden."

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