Kulturenklave im Libanon: Applaus für die Überlebenden
UMAM D&R in the FAZ
January 3, 2020
By Lena Bopp


Kulturenklave im Libanon:
Applaus für die Überlebenden

Im Süden von Beirut, wo die Hizbullah regiert, liegt „Umam“ – ein Außenposten europäischen Denkens. In diesen Tagen des Aufruhrs wird er angegriffen wie lange nicht mehr. Von Lena Bopp, Beirut

Wenn Professoren in Beirut ihre Studenten fragen, wer von ihnen schon mal in den südlich gelegenen Vierteln der Hizbullah gewesen sei, fügen sie meist einschränkend hinzu: „außer im ,Umam‘“. Denn das ist für viele, die nicht dort wohnen, der einzige Grund, nach Dahiyeh zu fahren, in das hinter Checkpoints verborgene Reich der aus Iran gelenkten schiitischen Hizbullah, das die halbe Stadt einnimmt und für die andere Hälfte zur Terra incognita zählt.

In Dahiyeh wirkt alles enger und einfacher. Nur Wohnblocks, mehr Menschen, kein Grün. Nagelstudios, Juweliere und Restaurants sind in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten so menschenleer wie überall sonst. Neben einem Friedhof beugen sich schwarz verhüllte Mütter über die Bilder ihrer im Syrien-Krieg gefallenen Söhne. Und in den Straßen patrouillieren schwarze Autos ohne Nummernschilder, vor allem abends und gerade jetzt, da sich hartnäckig Gerüchte halten, auch Bewohner dieser Gegend würden sich im anderen Teil der Stadt an den seit zwei Monaten dauernden Protesten gegen Konfessionalismus und Korruption beteiligen. Das missfällt der Hizbullah, die im Machtgefüge des Libanons eine ungute, aber entscheidende Rolle spielt. Die Kontrolle wird sie nicht abgeben. Nicht über die Geschicke des Landes und noch weniger über ihre Anhänger.

Inmitten ihrer Gegend allerdings liegt „Umam“. Ein herrschaftliches Anwesen in einem verwunschenen Garten, in dem Lokman Slim und Monika Borgmann eine Institution geschaffen haben, deren Arbeit von dem europäisch vertrauten Gedanken ausgeht, dass man sich der Vergangenheit eines Landes stellen muss, um seine Zukunft zu gestalten. Im Libanon sind solche Ideen nicht ungefährlich. Offiziell gibt es achtzehn anerkannte Konfessionen, entlang deren Trennlinien der Staat seit dem Ende des Bürgerkrieges in seine Einzelteile zerfällt. Klientelismus und Misswirtschaft sind die Folgen, gegen die derzeit mit nie dagewesener Ausdauer protestiert wird. Auch Lokman Slim eilt so gut wie jeden Nachmittag hinunter nach Downtown, wo Demonstranten eine der sonst meistbefahrenen Straßen von Beirut in eine Fußgängerzone mit Marktständen und Debattierzelten verwandelt haben. Immer wieder wurden diese Zelte von schiitischen Schlägern zerstört, auch das größte von ihnen, nach einer Diskussion, an der Lokman Slim nicht beteiligt war, für die er aber trotzdem verantwortlich gemacht wurde. Danach hingen an der Mauer von „Umam“ in Dahiyeh Morddrohungen gegen ihn.


Die Tore sind immer geöffnet

Es ist nicht das erste Mal, dass der 1962 in eine schiitische Familie geborene Slim angegriffen wird. „Aber dies ist ein Meilenstein in einer Reihe diskreterer Einschüchterungsversuche“, sagt er. „Das Land geht den Bach runter. Niemand kann diesen Prozess aufhalten. Und wie immer, wenn sich politisch nichts mehr machen lässt, verbreitet das Regime ein Gefühl von Angst und Schrecken.“ Journalisten örtlicher Medien interviewen Lokman Slim gern, denn er hält sich mit Kritik an der Hizbullah nie zurück. Diese Offenheit hat ihm und Monika Borgmann immer wieder Verleumdungskampagnen beschert: Slim sei ein amerikanischer Agent, hieß es dann. Und Borgmann organisiere keine Ausstellungen, sondern Orgien mit marokkanischen Prostituierten. Dennoch oder gerade deswegen sind die Tore zur Villa von „Umam“ stets geöffnet. Anders als an jeder Straßenkreuzung in der ganzen Gegend gibt es keine einzige Kamera auf dem Anwesen. Auch nach den jüngsten Drohungen liegt das Gelände ungeschützt da. Lokman Slim hat zwar öffentlich um Hilfe gebeten. „Aber ich sehe niemanden vor meinem Haus.“

Wie alle kulturellen Institutionen in Beirut hat „Umam“ sein Programm auf Eis gelegt, als die Proteste begannen. Zwei Ausstellungen wurden ins nächste Jahr verschoben, doch die beiden wissen, dass es künftig nicht leichter wird, Besucher nach Dahiyeh zu locken. „Die Angst zu zerstreuen wird eine Herausforderung“, sagt Slim. „Wir werden die Menschen wieder für die Idee öffnen müssen, dass diese Gegend zugänglich ist. Und dieses Viertel an den Besuch von Fremden.“

Bislang boten die kleinen Ausstellungen, die meist im „Hangar“, einem Nebengebäude, gezeigt werden, gute Gelegenheiten, um Menschen zusammenzubringen, die einander für gewöhnlich nicht begegnen. Als im Herbst in einer Schau mit dem Titel „(Re)constructed uncertainties“ neue Videos der Künstlerin Sandra Schäfer zu sehen waren, kamen eben nicht nur die üblichen Verdächtigen aus der Kunstszene, sondern auch eine Schiitin aus der Nachbarschaft von „Umam“. Sie war von Sandra Schäfer interviewt worden, hörte sich nun selbst in deren Video sprechen und wunderte sich darüber, dass die Bilder gar nicht mit Musik unterlegt waren – wie sie das aus den Propagandavideos der Hizbullah gewohnt ist. Auch ein Religionsgelehrter aus dem Viertel schaute vorbei und nahm sehr wohl zur Kenntnis, dass ein anderes Video über eine Rede von Hassan Nasrallah ausgerechnet in dem Augenblick endete, in dem der geistige und politische Führer der Hizbullah zu sprechen anfing. Es wagen nicht viele in dieser Gegend, dem Führer das Wort abzuschneiden.

Was „Umam“ bietet, ist eine eigenwillige Mischung aus Ausstellungsraum, politischem Aktivismus und Archiv. Unter den hohen Decken der alten osmanischen Villa stapeln sich jahrzehntealte Zeitungen, fein säuberlich sortiert, neben Büchern, Plakaten, Flugblättern und Artefakten. Die ersten Ausgaben arabischer erotischer Literatur. Der Nachlass der Baalbeck Filmstudios. Die Preisliste vom Pool des alten Carlton Hotel, eines ikonischen Hauses der Beiruter Moderne, dessen Vermächtnis von Lokman Slim buchstäblich aus dem Müll gefischt wurde. Im Vorbeifahren hatte er beobachtet, wie Müllmänner das gesamte Interieur des legendären Hotels wegschafften, kurz bevor es 2008 abgerissen wurde. Seither unterhält er zu diesen Männern gute Beziehungen – wenn ein Haushalt geräumt oder ein Nachlass entsorgt wird, rufen sie ihn an.
 

Das Archiv einer zerrissenen Nation

In der völlig verqualmten Herzkammer von „Umam“, die Slim als Büro dient, lehnt in der Ecke auch eine verrostete Straßenlaterne, von Kugeln derart durchsiebt, dass sie anmutet wie eine seltsame Bronzeplastik. Sie stammt aus dem Dorf Ain El-Remmaneh, das während des Bürgerkrieges besonders umkämpft war. Es gibt bis heute kein Schulbuch, das den Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990 behandelt. Der Libanon besitzt auch kein nationales Archiv. So widmet sich „Umam“, das Arabisch ist und „Nation“ bedeutet, seit 2005 der Archivierung und Dokumentation all jener Dinge, die helfen könnten, eine kritische Geschichte des Landes zu schreiben.

Manche Kapitel dieser Geschichte haben Borgmann und Slim bereits selbst verfasst. Über das Massaker in dem nahe gelegenen Palästinenserlager Sabra und Schatila, dem 1982 mehr als zweitausend Menschen zum Opfer fielen, drehten sie einen Dokumentarfilm, der das Geschehen aus Sicht der damaligen Mörder darstellt. Auch in ihrem zweiten Dokumentarfilm „Tadmor“ kommen Menschen zu Wort, die im Libanon sonst nicht gehört werden. Er erzählt, diesmal aus Sicht der Opfer, vom Schicksal der im Bürgerkrieg nach Syrien verschleppten Libanesen, von denen viele jahrelang in dem berüchtigten Wüstengefängnis nahe Tadmor gefoltert wurden. „Massaker“ durfte im Libanon bislang nur ein einziges Mal gezeigt werden. Für „Tadmor“ braucht es jedes Mal eine neue Genehmigung. Dabei waren die wenigen Vorführungen, die es gab, stets gut besucht und mancher Zeitung eine ganzseitige Berichterstattung wert.

Denn es gab Tausende Libanesen, die während des Krieges verschwanden, weil sie angeblich Kommunisten waren oder gegen die syrische Besatzung kämpften. Nur wenige von ihnen kehrten zurück. Oft schlug ihnen Misstrauen entgegen, Hilfe wurde niemandem zuteil. Doch am Ende der Vorführungen erhoben sich stets acht Männer von ihren Sitzen in der ersten Reihe. Stellten sich mit den Rücken zur Leinwand und nahmen mit verschränkten Armen die stehenden Ovationen eines Publikums entgegen, das nicht zu wissen schien, ob es applaudierte, weil diese Männer den Mut besaßen, von sich zu erzählen, oder einfach, weil sie noch leben.

„Umam“ beschäftigt mittlerweile zehn Mitarbeiter. Wie fast alle kulturellen Institutionen im Land überlebt es nur mithilfe der finanziellen Unterstützung ausländischer Stiftungen und Förderer. Ein Teil fließt in die Digitalisierung der gesamten Bestände, ein anderer in die sichere Verwahrung bestimmter Dokumente. Manche Dinge sind einfach zu heikel, um sie in Dahiyeh aufzubewahren, in dieser Gegend, in der Andersdenkende so heftig attackiert werden wie lange nicht mehr.

 
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